MPU-Ratgeber und Cannabis-News
24.11.2022
Wie können Ärzte eine rechtssichere Verordnung für med. Cannabis erstellen?
Der Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat in seiner Sitzung am 25 Oktober 2022 die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) in der Fassung vom 18 Dezember 2008/22 Januar 2009 (BAnz. Nr. 49a vom 31. März 2009), die zuletzt durch die Bekanntmachung des Beschlusses geändert worden ist, beschlossen:
I. Die AM-RL wird wie folgt geändert:
1. Nach § 4 wird folgender § 4a eingefügt: „§ 4a Cannabisarzneimittel Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den
Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon (Cannabisarzneimittel).
2. Abschnitt N. §§ 44 bis Position A (45) bis Position B+C (46)
werden wie folgt gefasst:
„N. Verordnungsfähigkeit von Cannabisarzneimitteln gemäß § 31 Absatz 6 Satz 9 SGB V § 44 Verordnungsvoraussetzungen
(1) Zu den Cannabisarzneimitteln nach § 31 Absatz 6 Satz 1 SGB V zählen Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon.
(2) Verordnungsfähig ist Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität, sofern es einen nach Deutschem Arzneibuch (DAB) bestimmten Tetrahydrocannabinol(THC)-Gehalt von mindestens 0,2 Prozent besitzt. Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität, mit einem geringeren THC-Gehalt ist vom Leistungsanspruch nach § 31 Absatz 6 Satz 1 SGB V ausgeschlossen.
Vor einer Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist zu prüfen, ob andere Cannabisarzneimittel zur Verfügung stehen, die zur Behandlung geeignet sind. Die Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist besonders zu begründen.
Hinweis der Redaktion:
Cannabis-Medikamente werden Kassen-Patienten auch weiterhin ohne Regress-Risiko verordnet werden können, wenn die nötigen Voraussetzungen erfüllt sind:
Verordnungsvoraussetzungen für medizinisches Cannabis
1. Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
1.1 eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a)
nicht zur Verfügung steht oder
b)
im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
2.1 eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
2. Verordnungsfähig ist Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität, sofern es einen nach Deutschem Arzneibuch (DAB)
bestimmten Tetrahydrocannabinol(THC)-Gehalt von mindestens 0,2 Prozent besitzt. Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität, mit einem geringeren THC-Gehalt ist vom Leistungsanspruch nach § 31 Absatz 6 Satz 1 SGB V ausgeschlossen.
3. Vor einer Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist zu prüfen, ob andere Cannabisarzneimittel zur Verfügung stehen, die zur Behandlung geeignet sind. Die Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist besonders zu begründen.
4. Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
4.1
eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a)
nicht zur Verfügung steht oder
b)
im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
4.2
eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
5. Die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in ihrer oder seiner
Patientenakte zu dokumentieren.
6. Die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt hat anhand der Voraussetzungen für die Versorgung mit Cannabis Arzneimitteln deren Vorliegen begründet einzuschätzen und in ihrer oder seiner Patientenakte zu dokumentieren.
7. Die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt hat die beabsichtigte Verordnung hinsichtlich der Auswahl des Cannabisarzneimittels zu konkretisieren. Bei der Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten ist weiterhin zu konkretisieren, ob abhängig vom Verhältnis des Gehaltes von THC zu dem von CBD die Verordnung eines
1. THC-dominanten (THC:CBD ≥2:1),
2. ausgewogenen (THC:CBD <2:1 bis 1:<2) oder eine
3. CBD-dominanten (THC:CBD 1:≥2 (THC > 0,2 %)
Produktes beabsichtigt ist.
8. Die Anspruchsvoraussetzungen auf Erstellung und Aushändigung eines Medikationsplans gemäß § 31a Absatz 1 SGB V sind zu prüfen.
9. Bei einer Therapie mit Cannabisarzneimitteln nach Absatz 3 (GB-A Beschluss) ist die Zweckmäßigkeit einer Weiterbehandlung innerhalb der ersten drei Monate
engmaschig und anschließend in regelmäßigen (?) Abständen zu beurteilen. Art, Dauer und Ergebnis des Einsatzes von Cannabisarzneimitteln sind durch die
verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt in ihrer bzw. seiner Patientenakte zu dokumentieren.
10. Ausschlüsse: Für die Versorgung von Patienten oder Patientinnen im Alter von < 18 Jahren gelten die Verordnungsvoraussetzungen nach Maßgabe der begründeten Feststellung im Einzelfall, dass die spezifischen Nachteile einer Behandlung mit einem Cannabisarzneimittel bei Kindern und Jugendlichen hinter dem
Ausmaß des zu erwartenden Nutzens zurückstehen.
11. § 45 Genehmigungsvorbehalt Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Die Verordnung von Cannabisarzneimitteln bedarf bei der ersten Verordnung einer Genehmigung der Krankenkasse. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Voraussetzungen zur Leistungsgewährung erfüllt sind.
12. Leistungen, die auf der Grundlage einer Verordnung einer Vertragsärztin oder eines Vertragsarztes zu erbringen sind, bei denen allein die Dosierung
eines Cannabisarzneimittels angepasst wird oder die einen Wechsel zu anderen getrockneten Blüten oder zu anderen Extrakten in standardisierter Qualität anordnen, bedürfen keiner erneuten Genehmigung nach Absatz 1 Satz 1. In allen anderen Fällen bedarf der Wechsel des Cannabisarzneimittels der erneuten Genehmigung nach Absatz 1 Satz 1.
13. Leistungen, die auf der Grundlage einer Verordnung einer Vertragsärztin oder eines Vertragsarztes zu erbringen sind, bei denen allein die Dosierung
eines Cannabisarzneimittels angepasst wird, bedürfen keiner erneuten Genehmigung nach Absatz 1 Satz 1. Der Wechsel des Cannabisarzneimittels bedarf der erneuten Genehmigung nach Absatz 1 Satz 1, es sei denn es handelt sich um einen Wechsel zu anderen getrockneten Blüten oder zu anderen Extrakten in standardisierter Qualität, die der gleichen Klasse nach § 44 Absatz 3 Satz 4 zuzuordnen sind.
14. § 46 Qualifikationen der verordnenden ärztlichen Person
Eine Ärztin oder ein Arzt darf einer Patientin oder einem Patienten Cannabisarzneimittel verordnen, wenn die entsprechende Qualifikation anhand der in der
Anlage XIII aufgeführten Facharzt-, Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnung gem. (Muster-) Weiterbildungsverordnung der Bundesärztekammer (MWBO) bei
der jeweils einschlägigen Grunderkrankung nachgewiesen ist. Qualifizierte Ärztinnen und Ärzte im Sinne der Anlage XIII sind auch diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die eine Berufsbezeichnung nach altem Recht führen, welche aufgrund von Übergangsregelungen bzw. Einzelfallbestimmungen zum Führen einer entsprechenden
Facharztbezeichnung nach aktueller MWBO berechtigt oder dieser gleichzustellen ist.
(2) Erfüllt die Ärztin oder der Arzt nicht die Mindestanforderungen an eine Qualifikation nach Anlage XIII, muss er oder sie 1. sich zu Beginn der Behandlung
mit einer Ärztin oder einem Arzt, die oder der die Anforderungen nach Absatz 1 erfüllt, abstimmen sowie 2. sicherstellen, dass sich die Patientin oder der Patient zu Beginn der Behandlung und mindestens einmal im Halbjahr der Ärztin oder dem Arzt, die oder der die Anforderungen nach Absatz 1 erfüllt, im Rahmen einer Konsiliarbehandlung vorstellt.
(3) Liegt eine Grunderkrankung vor, welche nicht in der Anlage XIII geführt ist, bestimmt sich die Qualifikation der verordnenden Ärztin oder des verordnenden
Arztes entsprechend der in Anlage XIII vergleichbaren Diagnosen.
(4) Bei einer Patientin oder einem Patienten im Alter von < 18 Jahren können an Stelle der in Anlage XIII genannten Facharzt-, Schwerpunkt und Zusatzbezeichnungen die korrespondierenden Facharzt-, Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen mit kinder und jugendmedizinischem Schwerpunkt treten.
Absätze 2 und 3 gelten entsprechend.
Bei jungen Erwachsenen im Alter von ≥ 18 Jahren bis in der Regel < 21 Jahren ist unter Berücksichtigung der individuellen Entwicklung und Krankheitsbewältigung ein geleiteter Übergang in das erwachsenenorientierte Versorgungsystem (Transition) vorzusehen; eine (Folge- )Verordnung durch die oder den bisher betreuenden Fachärztin oder Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin bleibt zulässig. Siehe: Anlage XIII
Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses
Das Wirtschaftlichkeitsgebot:
Medical Tribune: Regionale Verordnungssteuerung verstößt teilweise gegen G-BA-Nutzenbewertungen
[]Die Steuerung im Hinblick auf nutzenbewertete Arzneimittel ist teilweise rechtswidrig oder zumindest irreführend.
Krankenkassen und KVen haben den gesetzlichen Auftrag zur Steuerung der ärztlichen Verordnungsweise. Die Versorgung in jedem Einzelfall muss dem allgemein anerkannten und aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse genügen.
Bei einer Gleichwertigkeit mehrere Therapieoptionen ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot die für die Krankenkasse günstigere Option zu wählen. Umgekehrt gilt nach der Rechtsprechung, dass ein medizinischer Grund Mehrkosten rechtfertigt. (Begründung)
Die Nutzenbewertungsbeschlüsse des G-BA soll dabei unterstützen die richtige Wahl zu treffen. Gibt es einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie, so rechtfertigt dieser im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots Mehrkosten gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie.
Heißt: Trotz des höheren Preises ist das Arzneimittel mit Zusatznutzen hier wirtschaftlich.
Diese verbindliche Vorgabe wird jedoch nicht immer beachtet, es erfolgt immer wieder eine Verordnungssteuerung weg vom Zusatznutzen. Das ist unzulässig.
Ein Hinwirken auf die Verordnung von Rabattvertragsarzneimittel ist nur dann zulässig, wenn die Arzneimittel therapeutisch gleichwertig sind. Bei der Beurteilung, ob eine solche Gleichwertigkeit vorliegt, sind die Beschlüsse des G-BA und damit auch seine unterschiedlichen Bewertungen zum Zusatznutzen zu berücksichtigen.
Der Zusatznutzen sticht einen etwaigen Kostenvorteil.
Problematisch sind hier auch regionale Quoten, zwar verpflichten diese nicht zur Verordnung eines bestimmten Arzneimittels, aber sie steuern weg vom Zusatznutzen hin zu den Arzneimitteln, gegenüber denen der Zusatznutzen gezeigt wurde. Auch hier sticht der Zusatznutzen die Quote.
Wirtschaftlichkeit bedeutet eben nicht nur Kostenvergleich, sondern Kostenvergleich bei Gleichwertigkeit.
Weitere Informationen:
https://rechtskontor49.de/cannabis-auf-rezept-neue-regeln-aus-kassel-fokus-medizinrecht/
[]Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat am 10.11.2022 in vier Parallelverfahren entschieden, dass die gesetzlichen Krankenkassen nur in ganz speziellen Fällen die Kosten für medizinisches Cannabis zu übernehmen haben. Drei Revisionen wurden zurückgewiesen, nur im Fall meines Mandanten wurde das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) aufgehoben und an das LSG Niedersachsen-Bremen zur weiteren Klärung zurückverwiesen. Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, ist ein erster Schritt hin zur sicheren Kostenübernahme für Cannabisprodukte durch die Krankenversicherungen erreicht.
Ausgangspunkt
Der Gesetzgeber hat Anfang 2017 eine Neuregelung im 5. Sozialgesetzbuch (SGB V) eingeführt. Nach § 31 Abs.6 SGB V kann seitdem unter bestimmten Voraussetzungen medizinisches Cannabis zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. U.a. besteht nach dieser Norm bei einer schwerwiegenden Erkrankung eines Versicherten ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis, wenn nach begründeter ärztlicher Einschätzung andere Medikamente aufgrund ihrer Nebenwirkungen im konkreten Einzelfall nicht zur Anwendung kommen können.
Dennoch kam es in vielen Fällen dazu, dass die Kassen Anträge auf Genehmigung der Versorgung abgelehnt haben. Entweder wurde eine Erkrankung des Antragstellenden nicht als schwerwiegend genug angesehen, oder es wurde die Begründung des Vertragsarztes für unzureichend gehalten und auf alternative Medikamente verwiesen. Zudem vertraten mehrere Kassen die Auffassung, es müsse zwingend ein formalisiertes BtM-Rezept zur Genehmigung vorgelegt werden und eine vorherige Cannabisabhängigkeit stünde einer Kostenübernahme entgegen.
Der Fall
Mein Mandant, gesetzlich krankenversichert bei der Bahn-BKK, leidet seit Jahren an einer chronischen schwerwiegenden ADHS-Erkrankung. Er ist deshalb nicht mehr in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen und Sozialkontakte aufrecht zu erhalten. Er hatte erfolglos verschiedene ADHS-Medikamente ausprobiert, die keine Besserung bewirkten, sondern vielmehr erhebliche Nebenwirkungen hervorriefen. Der Mandant linderte daraufhin seine Beschwerden mit selbst beschafftem Cannabis.
Nach Inkrafttreten des § 31 Abs.6 SGB V beantragte er im Mai 2017 über seinen behandelnden Arzt bei der Bahn-BKK die Kostenübernahme für medizinisches Cannabis. Die Bahn-BKK lehnte ab und verwies auf anderweitige Therapieoptionen. Der Mandant legte Widerspruch ein. Begleitet von seinem Arzt und trotz dessen Bedenken testete er parallel ein weiteres Medikament, dessen Einnahme zu suizidalen Tendenzen führte und sofort abgebrochen werden musste. Eine ambulante Psychotherapie half dem Mandanten nicht weiter, eine von ihm beantragte stationäre Therapie wurde nicht bewilligt. Dennoch wies die Bahn-BKK den Widerspruch zurück.
Seine Klage wurde vom Sozialgericht Osnabrück (SG) abgewiesen. Das LSG wies seine dagegen eingelegte Berufung zurück. Zur Begründung wurde auf ein fehlendes BtM-Rezept sowie darauf verwiesen, dass nicht alle Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien.
Auf meine Nichtzulassungsbeschwerde hin ließ das BSG die Revision gegen die LSG-Entscheidung zu.
Mit meiner Revisionsbegründung legte ich dar, dass Bahn-BKK, SG und LSG die Intention des Gesetzgebers missachteten. Ausweislich der Gesetzesbegründung hatte er den Zugang zu medizinischem Cannabis und die ärztliche Therapiehoheit mit § 31 Abs.6 SGB V zu stärken beabsichtigt.
Zusammen mit der Aufhebung der Urteile habe ich beantragt, die Bahn-BKK zu verpflichten, die zukünftigen Kosten für Cannabisblüten zur Linderung des ADHS meines Mandanten zu übernehmen sowie die seit Antragstellung dafür von ihm selbst aufgewendeten Kosten von über 12.000,- € zu erstatten.
Die Entscheidung des BSG vom 10.11.2022
Bereits im Vorfeld des Termins hatte der zuständige Senat angedeutet, einige Klarstellungen zum Text des § 31 Abs.6 SGB V vornehmen zu wollen, damit die Vorschrift für alle Parteien eindeutiger handhabbar wird.
So kam es dann auch: Das BSG nahm in seinen mündlichen Urteilsbegründungen eine Definition für den Begriff „schwerwiegende Erkrankung“ vor und erstellte einen Anforderungskatalog an die „begründete Einschätzung“ der Vertragsärzte, warum nur noch Cannabis in Betracht kommt. Liegen diese Anforderungen vor, so dürfen die Kassen die ärztliche Entscheidung nicht mehr inhaltlich, sondern nur noch auf Plausibilität überprüfen. Deutlich machten die Kasseler Richter auch, dass ein spezielles BtM-Rezept nicht unbedingt erforderlich ist und dass eine vorherige Cannabisabhängigkeit einer Kostenübernahme eben nicht entgegensteht.
Im Fall meines Mandanten entschied das BSG, dass das LSG Niedersachsen-Bremen den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat und verwies das Verfahren daher an das LSG zurück.
Das LSG hat nun herauszuarbeiten, inwieweit der behandelnde Arzt meines Mandanten bei Antragstellung sein Krankheitsbild und die Unbedenklichkeit von Cannabisprodukten bei dessen ADHS erläutert sowie Nebenwirkungen bereits getesteter Medikationen geschildert hat und ob der vom BSG erstellte Anforderungskatalog an die ärztliche begründete Einschätzung nach § 31 Abs.6 SGB V damit von ihm erfüllt wurde. Dazu waren von mir im Verfahren mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt worden, die das LSG jedoch nicht hinreichend gewürdigt hatte.
Kommt das LSG zu dem Schluss, dass alle vom BSG aufgestellten Vorgaben erfüllt sind, wird es die Bahn-BKK antragsgemäß zur Erstattung der von meinem Mandanten verauslagten Kosten und zur künftigen Kostenübernahme für Cannabisblüten zu verurteilen haben.
Was ist von der BSG-Entscheidung zu halten?
Zu begrüßen ist, dass der Senat die frühere Cannabisabhängigkeit nicht als Ausschlusskriterium für eine Kostenübernahme durch die Kassen sieht. Auch der Einschätzung einiger Kassen, es sei zwingend ein BtM-Rezept zur Genehmigung vorzulegen, hat das BSG eine Absage erteilt.
Kritisch zu bewerten ist allerdings, dass das BSG mit seinen strengen Vorgaben an die ärztliche Begründungspflicht den eigentlichen Willen des Gesetzgebers nicht umsetzt, der – wie oben ausgeführt – einen erleichterten Zugang zu medizinischem Cannabis ermöglichen und die ärztliche Therapiefreiheit stärken wollte. Außerdem fordern die Kasseler Richter den behandelnden Ärzten eine Mehrarbeit ab, für die es keine entsprechende Vergütung gibt. Die Abarbeitung des vom BSG für die Begründung der Cannabis-Notwendigkeit konstruierten Anforderungskatalogs bedeutet einen zusätzlichen, nicht unerheblichen Aufwand für die Vertragsärzte, ohne den es aber keine Genehmigung der Krankenkassen geben wird.
Was können betroffene Schwerkranke jetzt tun?
Sobald die Urteile des BSG mit vollständigen Entscheidungsgründen vorliegen, werde ich einen Leitfaden für Patient*innen und Ärzt*innen erstellen, in dem ich die Vorgaben des BSG in Form einer Checkliste zusammenfasse. Damit soll allen Beteiligten ein Tool an die Hand gegeben werden, um einen Antrag auf Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgversprechend und mit möglichst geringem Mehraufwand stellen zu können.
Quelle: Rechtskontor49
Timm Laue-Ogal
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Medizinrecht
Autor_RS - 15:26:47 @ Medikation mit Cannabis, Kostenübernahme (KÜ), Fachanwalt Sozialrecht (Cannabis) | Kommentar hinzufügen
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